Der Sachausschuss "Entwicklung-Mission-Frieden" will in der Pfarrei St. Gregor von Burtscheid das Anliegen von Frieden und Gerechtigkeit wach halten.
Über den eigenen Kirchturm hinweg zu schauen und den Horizont auf fairen und gerechten Handel mit der s.g. "Dritten Welt" zu lenken, ist daher wesentliche Aufgabe. Hierzu wurde 1990 der "Eine-Welt-Laden-im-Turm" gegründet. Darüber hinaus geht es um Bewußtseinsbildung, die durch Informationsveranstaltungen und thematische Gebete initiiert werden soll.
"Eine-Welt-Laden-im Turm" - Einkaufen verändert die Welt
Seit vielen Jahren betreibt der Sachausschuss "Entwicklung-Mission-Frieden" den "Eine-Welt-Laden-im-Turm" in der Kirche St. Gregorius. Die Arbeit im und um den Laden hat zwei Schwerpunkte:
Stärkung des Fairen Handels
Sachinformationen über Probleme der sogenannten "Dritten Welt".
Seit einigen Jahren unterstützt der Eine Welt Arbeitskreis unserer Pfarre die Gruppe „Nueva Esperanza“ in Sucre Bolivien. Leisten können wir diese Arbeit durch den Erlös aus den Verkäufen im Turmladen, des vorweihnachtlichen Tannenbaumverkaufes an St. Gregorius sowie hilfreichen Spendern.
Nueva Esperanza ist ein Verein zur Selbsthilfe, in dem sich Menschen mit physischer Behinderung zusammengeschlossen haben. Durch gegenseitigen Austausch und gegenseitige Hilfe verbessern sie ihre Lebensbedingungen. Sie machen Öffentlichkeitsarbeit, um die schwierige Situation behinderter Menschen in Bolivien sichtbar zu machen. Aus Sucre heraus helfen die Mitglieder der Gruppe beim Aufbau ähnlicher Vereine in anderen Städten Boliviens. Das Hauptziel von Nueva Esperanza ist ein „Vida Independiente“, ein Leben in Unabhängigkeit, oder besser ein selbstbestimmtes Leben für ihre Mitglieder und alle Behinderten in Bolivien zu erreichen.
Der Erfolg gibt ihnen Recht. In der Zwischenzeit wurde ihr Konzept in weiteren Städten in neuen Selbsthilfegruppen umgesetzt. Nueva Esperanza trägt wesentlich dazu bei, dass es zwischen den Gruppen in den verschiedenen Departements von Bolivien einen Dialog und eine Zusammenarbeit gibt, die vor allem die Außendarstellung verstärken.
Zu bewundern ist die Eigeninitiative und die Kraft, die sie bei der Gestaltung ihres Lebens und dessen Verbesserung aufbringen. Die Eine-Welt-Gruppe der Pfarrei St. Gregor von Burscheid in Aachen unterstützt die Gruppe – auch finanziell – und versucht dadurch die ständige Verfügbarkeit von 2 persönlichen Assistenten sicherzustellen, die den Behinderten helfen, die alltäglichen Probleme besser zu meistern.
Dass die Situation in Bolivien z.Z. nicht einfach ist, konnten wir alle den Medien entnehmen. Das Ansehen der Regierung von Evo Morales hat sich dabei im Laufe der Jahre verschoben. Ob das Militär putschte, oder ob er vom Volk verjagt wurde, ist von hier aus schwer zu beurteilen. Unbestreitbar ist, dass er das ärmste Land Südamerikas zu Beginn wirtschaftlich stabilisierte. Er bekämpfte z.B. den Analphabetismus und verbesserte die Situation indigener Schichten in Bolivien. Morales und seine Partei MAS (Movimiento al Socialismo) waren angetreten, um das Klassensystem zu überwinden. Die von ihm selbst mitgestaltete Verfassung Boliviens erlaubt dem Präsidenten des Landes nur zwei aufeinander folgende Amtszeiten. Als seine „zweite“ Amtszeit ablief, versuchte er mit einem Referendum die Verfassung so zu verändern, dass er zur Wiederwahl antreten konnte. Bei dem Referendum am 21.02.16 wurde eine Verfassungsänderung mit 51,3 % Nein-Stimmen abgelehnt. An der Macht festklammernd erreichte er durch eine Klage vor dem bolivianischen Verfassungsgericht 2019, dass er dennoch bei der Wahl antreten konnten.
Ein Auslöser für die Situation in Bolivien könnte auch der Vertrauensverlust von Morales und der MAS in der Bevölkerung sein. So werden engagierte Bürger wie Feliza oder Marcelo, die führenden Köpfe bei Nueva Esperanza, von der Regierung und der MAS vor Gericht gezerrt, weil sie angeblich „diese Regierung verletzt hätten, indem sie diese bei öffentlichen Veranstaltungen schlecht aussehen ließen“. Eine merkwürdige Wertung der Situation von offizieller Seite. Wer die Situation aus anderer, objektiverer Sicht betrachten will, der sollte den Bericht des „The Guardian“ über den Protestzug der Bewegung und die Reaktionen des Staates anschauen (https://www.youtube.com/watch?v=mWX-G2NJeSI). Die Forderung, die sie mit den Protesten stellen, war die einer Grundente für schwerbehinderte Personen in Bolivien.
Neben dieser gesellschaftlichen oder politischen Seite von „Nueva Esperanza“ die Idee der Bewegung in ganz Bolivien zu etablieren, ist es aber vor allem die soziale und praktische Seite, die wichtig ist. „Fürchte dich nicht und mache was getan werden muss“. Nueva Esperanza führt in Selbsthilfe Praktika durch, die zum einen Menschen mit Behinderungen dazu befähigen soll ihr eigenes, selbstbestimmtes Leben zu führen oder zum anderen, um in den Gemeinden / Städten Menschen zu schulen, wie sie mit Behinderten umgehen und ihnen helfen können. Das Besondere ist, das diese Kurse von den Behinderten selbst organisiert und durchgeführt werden.
Feliza und Marcelo berichten hierzu folgendes (Auszug aus dem Bericht von Feliza und Marcelo an den Eine Welt Arbeitskreis; aus dem Spanischen übertragen):
„Im Jahr 2018 gab es 4 Praktikanten, die im Laufe von vier Monaten die Philosophie und das Programm der unabhängigen Lebensführung kennenlernten. Zum Beispiel wie man Ressourcen generiert, wie man Aktivitäten organisiert und wie man einen persönlichen Assistenzdienst nutzt und dadurch sein eigenes selbstbestimmtes Leben führen kann!
Im Jahr 2019 gab es zwei Praktikanten und Feliza hat uns gebeten ihre Geschichten zu erzählen:
Rene aus dem Departement Oruro und Martin aus Sucre.
Renes Geschichte:
Er ist aus Oruro und studierte dort mit der Unterstützung seiner zwei jüngeren Brüder, die ihn zur Schule und zur Universität brachten. Er schloss sein Wirtschaftsstudium ab, aber nach seinem Abschluss konnte er keinen Job bekommen, weil seine Brüder nicht immer zur Verfügung standen, um ihn außer Haus zu bringen. Seine Brüder waren bereits erwachsen. Sie mussten arbeiten und ihre eigenen Sachen erledigen. Als er sie trotzdem noch einmal bat, ihn zu begleiten, regten sie sich sehr auf und das tat Rene weh. Er verstand sie und wagte es nicht, sie noch einmal zu fragen. So war er quasi eingesperrt und allein und wurde immer wütender. In diesem Zustand war er, als Marcelo (einer der führenden Aktivisten hinter Nueva Esperanza) ihn einlud, ein Jahr lang als Praktikant zu Nueva Esperanza kommen, um ihm dort das Programm für ein unabhängiges Leben beizubringen
Als Rene von Oruro nach Sucre fahren wollte, war sein Vater sehr verärgert. Er sagte ihm, dass er gehen solle, wenn er gehen wollte, aber dass ihn niemand zum Bus Terminal bringen würde. So verließ er das Haus allein. Als er am Terminal ankam, kaufte er ein Ticket. Aber es war das erste Mal in seinem Leben, dass er ein Ticket kaufte. Er hatte nach dem ersten Sitzplatz gefragt, weil er dachte, zu diesem leicht einsteigen zu können. Aber die Überlandbusse in Bolivien sind Doppelstockbusse und der gebuchte Sitz befand sich im Oberstock. Es war für ihn nicht möglich einzusteigen. Er wusste nicht, was er tun sollte, aber ohne es zu merken, bat er um Unterstützung und ihm wurde geholfen.
Rene braucht die Unterstützung eines persönlichen Assistenten den ganzen Tag ca. 14 bis 16 Stunden, weil er seine Hände nicht benutzen kann. Also braucht er Unterstützung, um ins Bett zu gehen, ins Bad zu gehen, zu duschen, aus dem Bett zu kommen … Rene glaubte nicht, dass Assistenten diesen Job machen könnten! Marcelo interviewte etwa 10 junge Männer, die bereit waren als Assistent zu arbeite. Als er ihnen aber sagte, dass sie Rene im Badezimmer unterstützen sollten, wollten sie es nicht! Es war schwierig. (Feliza glaubt, dass es an mehreren Dinge liegt, vielleicht aber auch am männlichen Chauvinismus in Lateinamerika.)
Nun, so kam Rene an und nach und nach lernte er das Programm des unabhängigen Lebens kennen. Wir bildeten ihn aus, um Sprecher bei den Kursen zu sein, die wir gaben. Da er bereits ein Studium absolviert hatte, war es einfach. Er organisierte sich sehr gut und jetzt ist er ein Leiter, der eine neue Nueva Esperanza Gruppe in Oruro aufbauen wird. Zunächst muss er jedoch noch etwas arbeiten, bis er etwas Geld verdient hat und nach Oruro zurückkehren kann.
Martins Geschichte:
Bei Martin war die Sache anders, er war immer in Heimen untergebracht. Er wollte von Anfang an weg von zu Hause, weil seine Familie - Vater, Stiefmutter und Stiefbrüder - ihn nicht wollte. Seit er das Heim – weil er zu alt wurde - verlassen musste, war er oft sehr hungrig. Jeden Tag musste er überlegen, wo er Essen zum Leben bekommen konnte. Er war sehr traurig und er hatte auch kein Geld, um zur Schule zu gehen oder irgendetwas anderes zu machen. Manchmal luden einige Freunde ihn zum Essen ein. Das Essen war immer seine große Sorge. Sein Vater hatte nur ein Zimmer zur Miete genommen und ihn dort einfach zurückgelassen, ihm aber kein Geld gegeben.
Martin ist seit seiner Kindheit behindert und hat viel gelitten. Er war sehr unsicher, besorgt und frustriert! Jetzt ist Martin ein glücklicher junger Mann. Er lernt an einer Abendschule. Eine Assistentin bringt ihn und holt ihn ab! Er hatte gesagt:
„Jetzt mache ich mir keine Sorgen mehr, was ich essen soll, weil es hier im Verein immer etwas zu essen gibt"! Er ist glücklich und will lernen zu arbeiten. Aber zuerst muss er die Schule abschließen! Wir wollen ihn fördern bei der Herrichtung von Rollstühlen und Ausarbeitung von Kissen mitzuarbeiten. Sein Vater kam, seit er ihn zurückgelassen, nicht mehr zurück! Er versprach ihn mit 200 Bolivianos (26,-€) zu unterstützen, aber es gab keinen Penny, nicht einmal angerufen hat er ihn. Das hat Martin sehr verletzt!
Martin kann gut mit seinen Händen umgehen, deshalb unterstützt er andere Vereinskollegen und ist dabei, das Programm und die Methoden für selbständiges Leben zu vertiefen und an andere weiter zu geben.! Er ist jetzt 18 Jahre alt.
2020 haben wir zwei weitere neue Praktikanten, einer ist Alex aus Santa Cruz und Jorge aus Oruro, Alex braucht einen Assistenten zwischen 14 und 16 Stunden, weil er seine Hände nicht bewegen kann. Sie sind bereits in Sucre angekommen und sind in den ersten Wochen ihres Praktikums. Auch sie werden ihr Leben verändern!
Die Praktika sind ein voller Erfolg!“
Für uns im Arbeitskreis ist immer wieder beeindruckend, wie in gemeinschaftlicher Selbsthilfe solch eine Verbesserung der Lebensumstände möglich ist. Außerdem begreift man wieder, wie dankbar wir hier sein können, dass wir in einem Staat leben, der eigentlich niemanden zurücklässt.
Für den AK Eine Welt
Gaby und Johann Kleicker
Hier finden Sie auch die Texte der Meditationen zum diesjährigen Miseror-Hungertuch zum nachlesen: