Nur unterwegs?

Ein Pilgerweg nach Trier

Trier 2017 (c) Martin Feinendegen
Trier 2017
Datum:
Mo. 12. Juni 2017
Von:
Johannes Rueben
Trier 2017 (c) Martin Feinendegen
Trier 2017

Es ist Abend. Ein anstrengender und sehr heißer Tag liegt hinter uns. Jetzt ist es angenehm warm. Wir sitzen zusammen, singen, spielen Gitarre. Die letzten Sonnenstrahlen für heute sind schon verschwunden. Das Strahlen in den Gesichtern ist noch da. Viel zu schnell geht dieser Abend vorbei. Es ist nicht einfach, die Stimmung mit Worten zu beschreiben. Wenn uns jemand anbieten würde, dass wir heute auf einem harten Turnhallenboden übernachten, morgen früh um sechs Uhr geweckt werden, um dann in sengender Hitze eine gut 20 Kilometer lange Wanderung zu unternehmen – niemand von uns würde es ablehnen. Aber heute Nacht schlafen wir zu Hause, jeder in seinem eigenen Bett. Wir, das sind die Jugendlichen, die bei der diesjährigen Trier-Wallfahrt dabei waren. Ganze fünf Tage sind seit unserer Rückkehr vergangen, bis wir heute im Ferberpark unser erstes kleines Nachtreffen veranstalten.

Mittwochabend, neun Tage zuvor: Zum ersten Mal ist die Pilgergruppe komplett. Die meisten sind gerade mit dem Bus angekommen, hatten heute noch einen ganz normalen Arbeits- oder Schultag. In Waxweiler erwarten uns schon die 16 Vollstreckenpilger mit dem Pilgerkreuz, das sie, beladen mit den Anliegen der ganzen Gemeinde, in den vergangenen vier Tagen bis hierher  getragen haben.

Nach Vornamen, nach Geburtsort, nach Alter sortiert stellen wir uns jeweils im Kreis auf – Erwachsene, Jugendliche, Kinder mit und ohne Eltern. Frank und Frank, beide in Aachen geboren, beide am selben Tag, haben an diesem Abend besonders viel Zeit, sich kennenzulernen.

Ob es mit Blick auf die kommenden Tage eine gute Idee ist, abends noch Fußball zu spielen? Vermutlich nicht. Den meisten Kindern und Jugendlichen ist es egal.

Donnerstag. Pünktlich um acht Uhr treffen wir uns im „Pilger-Ei“. „Nehmt nichts mit auf den Weg, keine Vorratstasche, kein Brot, kein Geld und kein zweites Hemd“, sagt Jesus in der heutigen Bibelstelle zu seinen Jüngern. Ein Satz, der jeden ins Stutzen bringt, der gestern Teil der „Kofferkette“ war, die an jedem Abend unzählige Koffer, Taschen, Schlafsäcke, Isomatten, Rucksäcke und andere Gegenstände aus den beiden Gepäckbussen in unsere jeweilige Unterkunft befördert.

Das Stichwort „Vertrauen“ ist heute überall präsent: Vertrauen, dass wir in regelmäßigen Abständen Getränke- und Essensnachschub bekommen. Vertrauen, dass jemand wartet, wenn man mal kurz in den Wald verschwinden muss. Vertrauen, dass uns das Wetter keinen Strich durch die Rechnung macht. Vertrauen, dass uns einer auffängt, wenn wir fallen. Vertrauen, dass die Jugendlichen niemanden aufwecken, als sie spät am Abend die Gitarren wegpacken und schlafen gehen.

Freitag. Mittagspause in Meckel. Es gibt Suppe und kostenlosen Internetzugang. Der Präsident der USA hat anscheinend wieder irgendeinen Blödsinn von sich gegeben. Eigentlich interessiert mich das gerade überhaupt nicht. Ich packe mein Handy weg und widme mich wieder dem Hier und Jetzt.

Nicht nur die Kinder haben ihren Spaß auf dem Spielplatz, wo wir uns nach dem Mittagessen niederlassen, auch Erwachsene dürfen hier noch mal Kind sein. Die Jugendlichen treffen sich zur täglichen Gesprächsrunde. Niemand muss sie dazu auffordern. Die Themen haben sie selbst vorbereitet, sie leiten auch die teilweise kontrovers geführten Diskussionen. Die Erwachsenen sind beeindruckt.

Wenige Meter vor dem Kloster Helenenberg, dem heutigen Etappenziel, bleiben wir auf einer Brücke stehen und winken den Autofahrern unter uns zu. Fast alle winken oder hupen zurück. So einfach ist es, gute Laune zu verbreiten.

„Habe ich schon einmal jemanden ‚auf dem Weg‘ verloren oder zurückgelassen?“. Wie jeden Tag beginnt der Weg auch am Samstag mit einer halben Stunde des Schweigens. Jeder ist eingeladen, in Stille über diese Frage nachzudenken. Umso intensiver sind danach die Gespräche, die von diesem Impuls angestoßen werden.

Intensive Gespräche gibt es auch später an diesem Tag. Durch ein Kartenspiel wird je einem Jugendlichen ein freiwilliger Erwachsener zugelost. Im Schatten der Windräder wird diskutiert, nachgefragt und zugehört. Unsere Fragen locken so manchen aus der Reserve: Warum glaubst du an Gott? Wie sieht die Zukunft der Kirche aus? Fällt dir das zölibatäre Leben schwer? Ein Austausch, der beide Seiten zum Nachdenken anregt.

„Wann sind wir endlich da?“ gehört nicht zu der Liste der Sprüche, die man heute am häufigsten hört. Diese besteht eher aus „Schade, dass morgen schon wieder alles vorbei ist“, „Nächstes Jahr gehe ich die ganze Strecke mit“ und „Warum gibt es diese Wallfahrt nur einmal im Jahr?“.

Auf den letzten Metern laufen die Füße wie von alleine. „Let the heaven be reflected by the earth, Lord, that the earth may turn into heaven“, schallt unser Pilgerlied bis zu unserer Ankunft an St. Matthias in Trier aus 75 Kehlen. 33 Erstpilger können zwar wie alle anderen kaum noch stehen, erhalten aber trotzdem ihre Pilgermedaille.

Beim großen Pilgergottesdienst am Sonntag sitzen wir ganz hinten im Schatten auf einem kleinen Stück Wiese. Der ganze Platz ist voll mit Pilgergruppen. Zwei Kinder lassen sich davon nicht stören. Sie liegen in Embryohaltung im Gras und schlafen tief und fest. Vielleicht lassen sie in ihren Träumen die vergangenen Tage noch mal Revue passieren: unseren Christi-Himmelfahrts-Gottesdienst in der Turnhalle, das Stockbrotbacken und gemeinsame Singen, das Tisch-, Fuß-, und Volleyballspielen; fröhliche, traurige, aufregende, anstrengende, glückliche Momente.

„Am Ziele deiner Wünsche wirst du jedenfalls eines vermissen: dein Wandern zum Ziel.“ *

Der Abschied in den Alltag fällt schwer. Eine letzte Kofferkette, ein letztes Pilger-Ei, ein letztes Mal unser Pilgerlied singen. Ein Eis vom Eismännchen gönnen wir uns auch noch, bevor wir nach Hause gehen.

Jetzt sitzen wir also im Ferberpark. Die Erinnerungen sind noch lebendig, die Stimmung sofort wieder da. Die meisten Lieder haben wir auch noch drauf. Es wird sicher nicht unser letztes Treffen gewesen sein.

 

* Marie von Ebner-Eschenbach

Trier 2017 (c) Martin Feinendegen
Trier 2017 (c) Martin Feinendegen
Trier 2017 (c) Martin Feinendegen
Trier 2017 (c) Martin Feinendegen
Trier 2017 (c) Martin Feinendegen
Trier 2017 (c) Martin Feinendegen
Trier 2017 (c) Martin Feinendegen
Trier 2017 (c) Martin Feinendegen
Trier 2017 (c) Martin Feinendegen
Trier 2017 (c) Martin Feinendegen
Trier 2017 (c) Johannes Wittwer
Trier 2017 (c) Johannes Wittwer
Trier 2017 (c) Johannes Wittwer