Mission

(c) Klara Keuken
Datum:
Mi. 10. Juli 2019
Von:
Stefan Keuken


Sicherlich ist es eine gute Sache, dass wir unsere Weltanschauung nicht ständig in Frage stellen, sondern eine gewisse intrinsische Überzeugung von unseren Ansichten haben. Ohne Schubladendenken hätten wir wohl auch nie eine Chance gegen den Säbelzahntiger gehabt, und die Krone der Schöpfung wäre nie in der Lage gewesen, sich selbst als Krone der Schöpfung bezeichnen zu können.

Aber woher kommt unser Drang, unsere eigene kleine und so subjektive Ansicht der Welt als die einzig wahre und richtige anzunehmen, dass wir unbedingt möchten, dass alle anderen sie zu mindestens 100 % teilen? Das fängt schon an, wenn ich in einer Tempo 80-Zone auf der leeren Autobahn mit 78 km/h links fahre, damit auch ja niemand zu schnell fährt. Oder ich ständig schimpfend die Gegenstände vom Sideboard räume, die meine Frau dort platziert hat, bloß weil ich glaube, eine leere Fläche stünde für Ordnung und Sauberkeit? Oder ich dem Nachbarn übel nachrede, weil er meine Ansichten vom Glück der Monogamie nicht teilt und dies auch auslebt? Dann in größeren Dimensionen die Missionszwänge aller „Hardliner“, sei es an der Fleischtheke oder mit Fäkalien schmeißende Baumhausbewohner, die zur Rettung der Bäume dutzende Bäume fällen? Oder jegliche Form von „sozialen“ Foren im Internet: Sprudeln diese nicht über von „alternativen Fakten“, lauthals und anonym in die Welt gepustet, um Meinung zu machen?

Und unserem Glauben selbstkritisch gegenüber:

Wir glauben an den Monotheismus, der sogar in den 10 Geboten verankert ist. Trotzdem haben wir einen Gott Vater, Gott Sohn, Heiligen Geist und mehrere Hundertschaften von Heiligen, die für alle möglichen Heilsgebiete zuständig sind, vom unfallfreien Fahren dank Christophorus bis hin zum unfallfreien Fischessen dank Blasius.

Und dann die jungfräuliche Empfängnis, nach der die Zellteilung aber völlig natürlich zu Geburt und Wachstum eines ganz normalen männlichen Menschen führt, dieser aber über übernatürliche Kräfte verfügt, die selektiv vereinzelten Menschen Heil bringen und alkoholfreie Hochzeitsfeiern retten. Und die Botschaft? Ich zitiere: „[ ] … seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht … und euer himmlischer Vater ernährt sie doch … [ ]“. Das habe ich mal versucht, meinem Chef klar zu machen…

Dann der Kern unseres Glaubens: „Auferstehung am 3. Tag“ hieß, dass der Leichnam verschwunden war, also Leib und Seele. Beides unisono ist dann später den Emmausjüngern leibhaft (also mit Haft am Leib) erschienen, und als Beweis für die Lebendigkeit des ehemals Toten wurde der geschundene Körper gezeigt. Wir glauben jetzt, dass wir genauso auferstehen, aber jede Exhumierung bringt an den Tag, dass der Leib anscheinend nicht zum Auferstehungskonzept des Menschen dazu gehört. Und was ist mit all den armen Menschen passiert, die vor Jesus Christus gestorben sind? Da gab es ja noch keine Auferstehung.

Fragen über Fragen, und ich möchte unseren Glauben gar nicht schlecht reden oder gar zur Belustigung der grölenden Menge an den Pranger stellen. Auch nicht die katholische Kirche, die von einem Menschen geleitet wird, dem eine „göttliche Unfehlbarkeit“ unterstellt wird, obwohl dieser Mensch im Regelfall ein alter, erzkonservativer Mann ist, der von alten, erzkonservativen Männern gewählt wird, die für sich beschlossen haben, am normalen zwischenmenschlichen Leben und dem Kreislauf des Leben schenkens nicht teil zu nehmen.

Ich möchte auch Sie nicht schlecht reden oder an den Pranger stellen, weil Sie diesen Glauben teilen. Ich selbst glaube ja auch, wenn nur etwas anders, aber trotzdem fest, dass unser christlich-katholisches Gemeindewesen enorm viel wert ist, um ein wertvolles Leben führen zu können. Im Sinne unseres Glaubens und des Toleranz-Grundsatzes (der weit weniger fordernd ist als Jesu Gebot der Nächstenliebe) möchte ich aber das dünne Eis aufzeigen, auf dem wir uns mit unseren Anschauungen befinden. Und dieses Eis war trotzdem dick genug, um mit Schwertern Jerusalem zu missionieren, „Ungläubige“ im Namen Gottes zu verbrennen und auch heute noch andere Glaubensrichtungen zu verteufeln und sich im Namen der heiligen katholischen Kirche sogar anderen jesusgläubigen Gemeinschaften nicht nähern zu wollen und homoerotische Gesinnungen zu bannen.

Und wenn Sie beim Lesen dieser Zeilen Wut empfinden, Wut über meine Ansichten und meinen natürlich offenkundigen und selbstverständlich in diesem Tagesimpuls klar zum Ausdruck gebrachten Atheismus, und mir doch gehörig der Kopf gewaschen gehöre, dann tut es mir sehr leid, aber dann habe ich den Kern getroffen.

Ist es Mut, jemand anderem den Schädel einzuschlagen, der die eigene Weltanschauung nicht teilt? Wäre es nicht viel mutiger zuzugeben, dass die eigenen Ansichten nur subjektiv sind und ich eigentlich keine Ahnung von „objektiver Wahrheit“ habe? Ich befürchte, dass das nicht nur weh täte, sondern mir auch richtig Angst macht, weil mir plötzlich wichtige Antworten auf elementare Lebensfragen fehlen. Was passiert mit mir als Sterbendem, wenn ich mich nicht mehr an der Auferstehung festhalten kann? Daran kann ich ja jetzt schon zerbrechen.

Anscheinend ist eine zu große Selbstkritik und -hinterfragung nicht unbedingt als Evolutionsgarant anzusehen. Aber wenn ich es schaffe, mich selbst genauso kritisch zu hinterfragen, wie ich es bei den „Ungläubigen“ oder „Knoblauchessern“ tue, wäre dann vielleicht doch was gewonnen? Zum Beispiel im Umgang miteinander, insbesondere mit Menschen, deren Weltanschauung von meiner abweicht, aber niemandem weh tut und selbst nicht die Missionierung in den Vordergrund stellt, also andere in Frieden lässt? Ich weiß es nicht und lasse zu, dass ich es nicht weiß. Denn ich will Sie nicht missionieren.

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