Kulturelle Vielfalt entschlüsseln

Nicht Information, sondern Beziehungsgeschehen stand im Vordergrund

Leute (c) S. Hofschlaeger_pixelio.de
Leute
Datum:
Fr. 21. Juli 2017
Von:
Wolfgang Schoop

„Das ist doch ein Macho! Der lässt die Frau hinter sich herlaufen; dann setzt er sich hin, und die Frau darf neben ihm niederknien. Ohne das Gesicht zu verziehen, legt er die Hand auf ihre Schulter und drückt sie dreimal auf den Boden! Das ist doch Frauenverachtung pur!“ So sind unsere Kommentare bei einer spielerischen Szene, die wir an diesem Abend (am 26. April 2017) im Gemeinschaftsraum von Sankt Gregorius erleben.

Das „Netzwerk Neue Nachbarn“ und der „Arbeitskreis Erwachsenenbildung“ haben zu einer interkulturellen Veranstaltung eingeladen. Hier werden nicht so sehr intellektuelle Zusammenhänge vermittelt. Vielmehr geht es um Kommunikation, um das Verstehen fremder Kultur, vielleicht auch um unser Bestreben, gemeinsame Wege zu gehen. Markus Reissen, Islamwissenschaftler von der katholischen Hochschulgemeinde, bringt neben zwei Co-Trainerinnen auch syrische Studenten mit, die gerne von ihren Erfahrungen und ihrer Herkunftskultur berichten.

Wir werden in drei Gruppen (zu etwa 10 bis 15 Personen) eingeteilt und landen bei einem der drei Moderator(inn)en. Sie bereiten uns auf mehrere Rollenspiele vor. In der ersten Szene bin ich also ein geflüchteter junger Mann aus Syrien. Eine junge Frau aus Deutschland nimmt mit mir Kontakt auf und lädt mich ein, mit ins Schwimmbad zu gehen. Ich bin entsetzt und versuche der Frau zu erklären, dass der Prophet es nicht gestattet, dass Männer und Frauen sich gemeinsam entblößen. Sie insistiert und ich beharre vehement auf meiner Meinung. 

Diese Szene und die Erfahrung anderer Zweiergruppen werden im kleinen Plenum reflektiert. Bei der Diskussion wird mir auf einmal klar, dass ich die Rolle des Syrers noch gar nicht abgelegt habe; denn ich bin immer noch entsetzt. Zudem erkenne ich, dass ich mich in meinem Widerspruch wie ein Mitteleuropäer verhalte. Ein Orientale würde vielleicht freundlich lächeln, das Angebot annehmen und gegebenenfalls bei dem Treffen verhindert sein.

In der zweiten Übung  schlüpfe ich in die Rolle einer Frau, die aus einer ländlichen Region des Orients stammt. Dabei darf ich meinen Gesprächspartner nicht anschauen, das gebietet mir der Anstand. Das fällt mir besonders schwer, weil ich Mimik und Körpersprache meines Partners nicht entschlüsseln kann. Auch die Erfahrungen dieser Szene werden nachträglich temperamentvoll ausgetauscht.

Dann kommt die sogenannte Albatros-Übung, bei der der Übungsleiter und eine Teilnehmerin die eingangs geschilderte „Szene mit dem Macho“ pantomimisch darstellen. Wie können wir den beiden Darsteller(inne)n nur so auf den Leim gehen?  Die beiden geben uns nämlich einen Einblick in eine religiöse Szene aus einer fremden Kultur! Hier ist es die Frau, die durch ihre Verbeugung zum Boden die  Verbindung zur Mutter Erde herstellt. In dieser Form des Matriarchats kann nur das weibliche Geschlecht  direkt Kontakt mit den Urkräften aufnehmen. Dem Mann bleibt nicht mehr übrig, als sich durch die Berührung des Nackens der Frau indirekt einzubringen. Wir sind sprachlos und werden uns bewusst, wie sehr unsere Wahrnehmung häufig von vorgeprägten Bildern aus unserem eigenen Kulturraum beeinflusst wird.

In der großen Schlussrunde werden Lernschritte, Beobachtungen und Anliegen ausgetauscht! Einige Teilnehmer(innen) schütteln immer noch mit dem Kopf über ihre Reaktion bei der Albatros-Übung!

Anmerkung: Das war ein gelungene Veranstaltung mit Markus Reissen, Dr. Jana  Reissen-Kosch und Ruth Meertens.

 

Wolfgang Schoop